Der rechte Weg

Fischen, insbesondere das Fischen auf Salmoniden, war bis dahin schon lange meine absolute Leidenschaft. Aber diese Tour machte mich zum absoluten unheilbaren & süchtigen Meerforellenfischer.

Es war Herbst 2000. Bisher war ich lediglich zweimal zum Fischen am Meer gewesen. Was es heißt, mal wieder nichts zu fangen, wusste ich also schon. Das Vorhaben, in den Urlaub zu fahren und davon auszugehen, dass man auf jedenfall eine fängt, ist Illusion und fast schon abgehoben. Aber ich wollte wenigstens wissen, wie sie aussehen... Dieser Herbst sollte es bringen. Nach viel Übertreibung der zu erwartenden Fischerei erklärten sich zwei gute Freunde bereit, mich nach Helnaes zu begleiten und einmal selbst ihr Glück zu versuchen.

Wir waren eine lockere Truppe: Zottel “Memi” 40 Jahre, Langhaar “Lars” 30 Jahre und ich “militärischer Kurzhaarschnitt” damals 21 Jahre. Wir waren und sind mit Sicherheit noch heute eine kuriose Truppe. Unheimlich verschieden, aber in jedem von uns steckt wohl ein “Huckleberry Fin”, sonst wäre diese Geschichte auch nie so ausgegangen...

Auf Helnaes angekommen, verbrachten wir erstmal drei Tage mit Fischen, Bummeln, Spazieren, Steine sammeln und dergleichen. Das Wetter versprach keine großen Fänge. Recht starker Wind, blauer Himmel und ziemlich warm für diese Jahreszeit liessen meine Freunde schnell erkennen, dass sie wohl einem gutgemeinten Bluff unterlagen, als sie der Reise zu den sagenhaft großen und leicht zu fangenden Meerforellen zugesagt haben. Am dritten Tag klauten uns zwei andere Fischer auch noch eine unserer, an der Autotür lehnenden Angelruten. Eine Verfolgungsjagd quer über Helnaes brachte zum Glück keinen Erfolg. Wahrscheinlich wären wir alle wegen Todschlags verhaftet worden. Diese eine Schweinerei ärgert mich noch heute.       Naja - die Stimmung schlug langsam um – es war Zeit zum Handeln.

Irgendwann habe ich mal in einer Fliegenfischerzeitung gelesen, es gäbe da eine Insel. Sie wäre ca. 9 qkm. gross, recht einsam, schön und nur bei Ebbe durchs Wasser watend zu erreichen. Das hörte sich gut an – wir machten uns auf die Suche.

An einem kleinen Parkplatz angekommen schauten wir über den beschilderten “Ebbeweg” auf unsere Insel. Sie sah schon vielversprechend aus. Es sind in Sichtweise zwei Inseln, aber die eine ist flach und fischereilich uninteressant. Kurz zur Erklärung. Der Weg durch das Wasser ist gut sichtbar mit Holzpfosten (auf denen sogar Katzenaugen befestigt sind) versehen. Diese stehen in Abstand von gut 100 Metern im Wasser und weisen einem sogar im dunkeln den Weg, wenn man sie mit einer Taschenlampe anstrahlt. Je nach Jahreszeit ist das Wasser tiefer oder flacher. Zu dieser Jahreszeit steht es fast auf Höchststand. Im Frühjahr ist die Insel fast trocken zu erreichen – das unterschiedliche Salzgehalt von Ostsee und Atlantik ist die Ursache dafür, dass im Sommer das Wasser aus der Ostsee und im Winter in die Ostsee gedrückt wird.

Na jedenfalls machten wir uns auf den Weg. Wir hatten nicht viel mit – wir wollten ja nicht ewig bleiben. Der Weg wurde an der tiefsten Stelle etwa hüfttief. Ich schätze, dass wir damals etwa eineinhalb Stunden unterwegs wahren. Das laufen durch das hohe Wasser, dazu der Sandboden machten uns schon ziemlich schlapp. Auf der Insel angekommen muss man dann noch einen längeren Fussmarsch über eine Landzunge absolvieren. Dieses Laufen ist wegen des sehr lockeren Sandes fast noch anstrengender. Die eigentliche Insel ist bewaldet und auch bewohnt. Ein kleiner schöner Hof steht am Rande des Waldes an der Spitze der Insel und einmal sahen wir in diesem Tagen auch den Leuchtturmwärter mit Hund – aber weit weg. Die Insel gilt fast das ganze Jahr über als Hotspot für Meerforellenfischer. Komplett um die Insel gibt es eine abwechslungsreiche Bodenstruktur. Es scheint fast egal, wo man fischt. Überall sind es perfekte Bedingungen und da sie klein ist, findet man immer auch einen windgeschützten Bereich.
Wir liefen links an der Insel entlang, bis wir an einen alten total verwitterten ehemaligen Kai oder Steg ankamen, dessen Reste eine Art offene aber bedachte Stallung ergeben. Dieses offene Gemäuer bietet Platz genug, sich Notfalls auch über Nacht aufzuhalten. Der Wind zieht zwar meist tierisch durch die Mauern, aber wenn man ein Dach braucht, ist das besser als heimlaufen...       
Wir waren auch körperlich erstmals erledigt. Unser Pyromane “Lars” machte sich dennoch auf die Suche nach Treibholz. Nach gut zwei Stunden hiefte er eine Wurzel mit riesigen Ausmassen an. Wir lachten uns total schlapp. Auf jedenfall brauchten wir uns in den nächsten drei Tagen nicht ums Feuer kümmern und Lars war vorerst pausenlos damit beschäftigt, die Feuerstelle zu perfektionieren. Es gefiel uns so gut auf der Insel, dass wir beschlossen, über Nacht zu bleiben. Da wir zuwenig Wasser mit hatten, mussten wir also nochmal zurück. Als wir uns auf den Weg zurück machten, war es dann bereits dunkel. Mit der Taschenlampe leuchteten wir über das Wasser und die Katzenaugen deuteten uns den Weg. Der Sternenhimmel war so weit draussen unheimlich klar und selten eindrucksvoll. Als wir gegen vier Uhr morgens wieder auf der Insel bei unserem Gemäuer waren, hatten wir bestimmt 20 bis 25 Kilometer hinter uns. Lars pflegte dann das Feuer.
und wir machten Tee und Kartoffeln in Folie & Butter. Memi hatte (!!!) sogar eine Espressomaschine für offenes Feuer mit... Es war riesig. Obwohl nur ich gefischt habe, hatten wir alle Spass. Memi war stundenlang auf der Insel unterwegs, Lars machte weiterhin Feuer und ich war dann nur noch im Wasser.
Am zweiten Tag schlug gegen Nachmittag das Wetter um. Es wurde diesig, der Wind legte sich und leichter Regen kam auf. Das Fischen machte wieder Spass. Mit den leichten Wellengang watete ich so parallel zur Insel bestimmt zwei Kilometer weit. Der immer gleiche, 12 gr. schwere silber-blaue Toby flog ewig weit und die Zeit verflog so harmonisch wie nie. In der Dämmerung hakte ich dann meine erste Meerforelle. Es war eine Wucht - ein kurzer und sprungreicher Drill und 53 cm. pures Ostseesilber machten alle Strapazen doppelt wett. Bis Mitten in die Nacht hinein fing ich 8 Meerforellen. Die meisten waren nicht sehr gross, aber es war einmalig. Zwei entnahm ich und die haben wir dann in der Nacht auf dem Feuer gebraten und mit Kartoffeln, Tee und anschließendem Kaffee verspeist.
Wir alle hatten unseren Spass. Jedenfalls haben wir bis dahin fast überhaupt nicht geschlafen. Am frühen Morgen habe ich wieder gefischt und bis Vormittags weitere 5 Meerforellen gefangen. Insgesamt waren es 13 Meerforellen, die grösste aber war die erste und auf einmal war es vorbei. Die heisse Zeit war vorüber und ich hatte auch auch erst einmal genug – es reichte. Es war jetzt bereits Montag. Morgen musste ich um 8:00 Uhr im Büro sein. Wir alle legten uns in die Dünen und schliefen eine Runde.
Weil keiner so recht Lust hatte, machten wir uns viel zu spät auf den Weg. Aber dafür hatten wir schon vorher einen Plan. Plan war, dass ich auf der Rückbank schlafe, während die anderen sich mit Fahren abwechseln, damit ich dann “fast rechtzeitig” am nächsten morgen frisch und ausgeruht auf der Arbeit meinen Dienst tun kann.Weil wir alle müde waren und jetzt durch das zweimalige herlaufen viel mehr Gepäck hatten, als beim Anmarsch, war es schon nach 22:00 Uhr, bis wir überhaupt an der Spitze der Landzunge Richtung Festland waren. Nochmal Teepause, Pipi und dann ab bis zur Hüfte ins Meer. Wir waren trotzdem guter Dinge. Das waren ja auch fantastische Tage. Ich war moralisch so gestärkt, dass der wohl kommende Anpfiff meines Ausbilders am nächsten Morgen nur ein lächeln auf meine Lippen bringen würde.
Aber weiter auf dem Weg... Trotz dass die Sicht durch aufkommenden zum Glück nur leichten Nebel (!) und Wolken schlechter wurde, waren die Katzenaugen weithin sichtbar. Wir lachten und scherzten und als Memi fast über seine eigenen Füsse gestolpert ist, wären wir fast vor Schüttelkrämpfen gestorben. Ich weis nicht mehr genau, wer es bemerkt hat, aber bei einer Zigarettenpause fiel auf, dass das letze Katzenauge dem wir folgten, keines mehr war. Ein Boot hatte unseren Blick abgewandt und dessen Lichter liessen uns vom Weg abkommen. Vermutlich liefen wir schon eine ganze Weile den Lichtern eines vorbeifahrenden Bootes hinterher. Wir vermuteten, dass wir zur rechten Seite vom Weg abgekommen waren, drehten uns nach links und liefen erstmal weiter. Es wurde tiefer. Bald sahen wir wieder ein Licht, wechselten die Richtung und bald darauf stellte sich auch hier heraus, dass es aber immer noch nicht das gesuchte Katzenauge war, sondern das Scheinwerferlicht eines Autos irgendwo am Festland...
Gegen 01:00 Uhr gaben die Batterien der Taschenlampe auf und mittlerweile war all das Gepäck mächtig schwer geworden. Uiuiui – es wurde auf einmal kalt. Ursache war wahrscheinlich nur, dass uns allen klar wurde, dass das alles schräg und gar nicht nach Plan läuft. Es ergaben sich völlig neue Möglichkeiten. Möglich war zum Beispiel, dass das alles böse endet... Der Spass war vorbei.
Weiter auf dem Weg stappte ich den anderen voran, denn ich hatte nicht nur mein Leben, sondern auch meinen Job zu verlieren. Diese Sorge teilten die anderen nicht, denn sie hatten noch Urlaub und dann waren sie auf einmal weg. Wir hatten uns auch noch aus den Augen verloren. Rufen, schreien, pfeiffen hatte keinen Sinn und die mobile Welt hatte zu diesem Zeitpunkt diesen Teil der Welt noch nicht eingenommen...
So blieben meine Freunde einfach weg, was mir gar nicht gefiel.
Und ich hatte nur noch eine Orientierungshilfe - sobald das Wasser tiefer wurde, wusste ich nämlich das dies nicht der richtige Weg sein kann. So ging es von links nach rechts. Mir war kalt und das Gepäck wurde unerträglich. Überhaupt konnte das alles gar nicht war sein. Dass das so enden kann, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.
Gegen 03:00 Uhr wurde es seichter, dann kam Land – welches, wusste ich noch nicht. Ich stolperte in Wathose und voller Montur über ein altes Maisfeld und fiel und stolperte mehrmals in den Dreck. Auf einmal stand ich zufällig und zum Glück vor einem Bauernhof. Es war so dunkel, das ich mir fast die Nase daran anschlug. Ich klopfte dann und rief einfach um Hilfe. Eine alte nette Frau brauchte eine ganze Weile bis sie zur Tür kam. Wahrscheinlich habe ich ihr angst gemacht, so mitten in der Nacht. Ein wenig englisch und ein wenig deutsch mit viel Zeichensprache gaben ihr zu verstehen, dass es ernst war. Sie rief die Polizei an und denen war sofort klar, was da los war. Die nette Dame gab mir eine Taschenlampe mit auf den Weg und deutete mir den Weg zum Parkplatz und Auto. Dorthin war dann wohl auch schon die Polizei unterwegs. Nach einem 15 minütigen Dauerlauf war ich am Parkplatz Zehn Minuten nach mir kamen meine Freunde angelaufen. Ich habe die Polizei von meinem Handy angerufen und mich für die Hilfe bedankt. Der Polizist am Telefon hielt mir eine freundliche aber deutliche Predigt und das war es dann. Die Anderen haben sich beim Fahren abgewechselt, ich schlief die ganze Fahrt über und dann nach kurzem Umziehen kam ich viel zu spät auf die Arbeit. Mein Chef war so sauer, dass er erstmal um Erklärung bat. Danach war er dann gar nicht sauer, sondern nur besorgt und glücklich, dass das noch so gut ausging. Als ich dann an meinen Arbeitsplatz ging und mich meine Kollegen fragten, wie mein Urlaub war, wusste ich, dass der Urlaub vorbei war.
Kurz noch: Ich war seitdem jedes Jahr mindestens einmal auf der Insel und habe auch schon häufiger Fischer dort getroffen. Auch bin ich dort mehr als einmal Schneider geblieben. Trotzdem ist diese Insel für mich ein Paradies und deshalb will ich den Namen der Insel nicht nennen. Aber: wer ein wenig Interesse an Fünen hat, kommt schnell dahinter, wie er sie finden kann. Die Flora und Fauna ist stellenweise sogar für Europa einmalig. Es gibt unheimlich viel Rotwild. Nachts haben uns sogar schon Seehunde beim Feuer besucht und auch Schweinswale sieht man dort sehr häufig. Niemals habe ich dort Müll oder dergleichen hinterlassen, habe aber schon einiges an Wohlstandsschrott wieder mit auf das Festland getragen. Und niemals wieder werde ich ohne Ersatztaschenlampe oder Kompass diese Insel aufsuchen.
Das war mir eine Lehre!
 
Vielen Dank an Florian, für diesen schönen, lehrreichen Bericht und natürlich die Bilder.